Anfang Februar 2024 fand die erste Schweizer Atopische Dermatitis (AD)-Roadshow statt. AD-Experte Prof. Jonathan Silverberg von der George Washington University School of Medicine and Health Sciences in Washington, DC, USA, sprach in fünf Schweizer Zentren über die verschiedenen systemischen AD-Behandlungen. Im Fokus stand hierbei die individualisierte Patient:innen-zentrierte Therapie, um den Versorgungsstandard bei AD zu erhöhen. Im Post-Roadshow-Interview teilt Prof. Silverberg seine Erfahrungen und Gedanken zur gemeinsamen Entscheidungsfindung und dem Minimal Disease Activity (MDA)-Konzept.

Post-Roadshow-Interview mit Prof. Jonathan Silverberg
The George Washington University School of Medicine and Health Sciences in Washington, DC, USA
Wie besprechen Sie die verschiedenen Behandlungsoptionen und -ziele mit Ihren AD-Patient:innen?
Prof. Jonathan Silverberg: Ich bin ein grosser Verfechter des shared decision making, also der gemeinsamen Entscheidungsfindung. Deshalb prüfe ich jeweils zuerst die relevanten Behandlungsoptionen und vermittle den Patient:innen eine Übersicht zu den für sie passenden topischen, oralen und biologischen Medikamenten. Diese Übersicht beinhaltet sowohl den Nutzen als auch die Risiken und Unterschiede der jeweiligen Therapien. Als nächstes versuche ich die Präferenzen der Patient:innen zu ermitteln – was sind die grössten Bürden, wollen sie ein schnell wirksames Medikament, etc. Auf dieser Grundlage treffen wir dann eine gemeinsame Behandlungsentscheidung, denn eine Einheitslösung für alle Patient:innen gibt es nicht.
Welche systemischen Therapien gibt es derzeit für mittelschwere bis schwere AD?
Die Phototherapie kann eine wirksame Option für mittelschwere Erkrankungen sein. Für schwere AD gibt es injizierbare Biologika und orale Therapien. Viele Erkrankte schrecken zwar vor einer Injektion zurück, aber die Therapien sind wirksam und haben ein gutes Sicherheitsprofil. Dann gibt es traditionelle systemische Therapien wie Cyclosporin und Methotrexat, welche ich jedoch selten verwende. Was die oralen Optionen angeht, so sind es im Moment vor allem die Januskinase (JAK)-Inhibitoren, welche ich den Patient:innen empfehle. Der selektive JAK1-Hemmer Upadacitinib (UPA, RINVOQ®) bewährt sich oft als effizienteste Option mit schnellem Wirkeintritt und einem zuvor nicht dagewesenen robusten Ansprechen [1]. Alle Therapien verlangen aber ein sorgfältiges Gespräch mit den Patient:innen über Sicherheit und Risiko-Nutzen-Profil. Diese verschiedenen Faktoren werden dann jeweils in die Entscheidungsfindung miteinbezogen.
Wie hat das Aufkommen von Biologika und JAK-Inhibitoren das AD-Therapiemanagement beeinflusst?
Das Aufkommen der Biologika führte zur Zulassung der ersten fortgeschrittenen systemischen Therapien für AD. Die Zulassung der oralen JAK-Inhibitoren danach brachte eine ganz neue Klasse von Medikamenten mit sich und die Art und Weise, wie wir über Wirksamkeit denken, hat sich seither verändert. Jetzt sprechen wir über den Grad der Kontrolle und die Tiefe des Ansprechens, was vorher nie diskutiert wurde. Auf Grund des breiten Angebots an Behandlungen zögern nun auch weniger Patient:innen, eine fortgeschrittene systemische Therapie zu beginnen, denn sie wissen: es gibt noch andere Optionen.
Warum erhalten trotzdem viele Patient:innen mit mittelschwerer bis schwerer AD oft keine angemessene Behandlung mit systemischen Therapien?
Leider handelt es sich hier um ein globales Problem: weniger als 10 % der Patient:innen, die nach objektiven Kriterien mit einer systemischen Therapie behandelt werden sollten, erhalten auch tatsächlich eine systemische Therapie. Dabei ist das Problem multifaktoriell: Patient:innen werden nicht diagnostiziert oder es werden nicht überall standardisierte Instrumente verwendet. Leider gibt man sich oft auch mit mittelmässigen Behandlungsergebnissen zufrieden. Hierbei verpassen wir die Möglichkeit, eine bessere Krankheitskontrolle zu erreichen.
Gezielte systemische Therapien wie JAK-Inhibitoren machen ehrgeizige Behandlungsziele (EASI 90, NRS 0/1) mittlerweile erreichbar [2]. Sind diese Behandlungsziele für Ihre Patient:innen in der klinischen Praxis derzeit realistisch?
Ja, heute sind sie das. Früher waren diese Ziele nicht mal Endpunkte in klinischen Studien, aber jetzt gibt es plötzlich Medikamente wie UPA, die das Erreichen dieser Behandlungsziele ermöglichen. Das hat unsere Auffassung über erreichbare Möglichkeiten völlig verändert, denn der Schritt von einem mässigen Ansprechen bis hin zu keinen Beschwerden ist massiv. Mit den heute verfügbaren Therapien können wir ein Abklingen der Krankheit erreichen. Die Patient:innen müssen folglich auch keine Krankheitsauslöser mehr meiden und erhalten damit ein grosses Stück Lebensqualität.
Was ist der Minimal Disease Activity (MDA)-Ansatz und wie hilft er bei der Behandlung von AD-Patient:innen?
Die Idee hinter dem MDA-Ansatz ist die Definition von sinnvollen, realistischen Behandlungszielen. Hierbei wird ein Krankheitsaktivitäts-Level bestimmt, welches durch einen standardisierten Ansatz und unter Berücksichtigung der verfügbaren Therapieoptionen sowohl von Patient:innen als auch von der behandelnden Ärzteschaft als bestmöglich angesehen wird (Abb. 1). Dies kann die langfristigen Behandlungsergebnisse optimieren und für Ärzt:innen bei der Wahl der Therapieoptionen hilfreich sein.

Abbildung 1: Kriterien für den MDA-Ansatz, der klinisch ermittelte (clinician-reported) und von Patient:innen berichtete (patient-reported) Ergebnisse kombiniert. EASI, Eczema Area and Severity Index; SCORAD, SCORing Atopic Dermatitis; IGA, Investigator Global Assessment; BSA, Body Surface Area; NRS, Numerische Ratingskala; POEM, Patient Oriented Eczema Measure; HADS, Hospital Anxiety and Depression Scale; (C)DLQI, (Children’s) Dermatology Life Quality Index; IDQOL, Infant’s Dermatitis Quality of Life.. Adaptiert nach [3].
Welche Rolle spielt das Treat-to-Target (T2T)-Konzept im MDA-Ansatz?
Beim reinen T2T-Konzept handelt es sich um eine Zielbehandlung, welche von «oben nach unten» gerichtet ist. Dabei wird die Stimme der Patient:innen nicht berücksichtigt. Im MDA-Ansatz ist die Behandlung nach T2T mit der gemeinsamen Entscheidungsfindung verschmolzen. So kann die Behandlung auf die Patient:innen zugeschnitten werden und genau Beschwerden anzielen, welche sie auf individueller Ebene stören.
Welche Herausforderungen können sich bei der Umsetzung des MDA-Konzepts ergeben?
Die grösste Herausforderung wird die einfache Gestaltung des MDA-Konzepts für die tägliche klinische Praxis sein. Es wird einen praktischen Leitfaden brauchen, der von allen Dermatolog:innen für die Datenerfassung verwendet werden kann. Dabei geht es um konkrete Umsetzungsmassnahmen, damit sichergestellt werden kann, dass jede und jeder mit den Messungen und Validierungen vertraut ist – unabhängig von den Systemen in den jeweiligen Praxen.
Was ist Ihrer Meinung nach die wichtigste Botschaft Ihrer AD-Roadshow-Präsentation, die Sie den Teilnehmenden mit auf den Weg geben wollen?
Mir ist es wichtig, dass über die gemeinsame Entscheidungsfindung gesprochen wird! Die Behandelnden müssen sich über zwei Dinge im Klaren sein: Es gibt weder den oder die Standardpatient:in, noch eine Standardtherapie für alle. Glücklicherweise gibt es eine breite Palette an Möglichkeiten, die für alle etwas bietet. Sobald man den Patient:innen zuhört und einige Feinheiten der verschiedenen Medikamente versteht, werden bessere Behandlungsentscheidungen getroffen. So haben wir schlussendlich zufriedenere Patient:innen und mehr Behandlungserfolge.
Literatur
1. Aktuelle Fachinformation RINVOQ® (Upadacitinib) auf www.swissmedicinfo.ch
2. Simpson, E.L., et al., Efficacy and Safety of Upadacitinib in Patients With Moderate to Severe Atopic Dermatitis: Analysis of Follow-up Data From the Measure Up 1 and Measure Up 2 Randomized Clinical Trials. JAMA Dermatol, 2022. 158(4): p. 404-413.
3. Silverberg J, et al. Combining treat-to-target principles and shared decision-making: International expert consensus-based recommendations with a novel concept for minimal disease activity criteria in atopic dermatitis. J Eur Acad Dermatol Venereol, 2024. 38(11): p. 2139-2148.
Die Referenzen können durch Fachpersonen bei medinfo.ch@abbvie.com angefordert werden.
Interview: Dr. sc. nat. Stefanie Jovanovic
Dieser Beitrag entstand mit finanzieller Unterstützung der AbbVie AG, Alte Steinhauserstrasse 14, 6330 Cham.
CH-RNQD-240014 01/2025
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